2.1 Der häufigste Griff
Tab.
1 zeigt eine Zusammenfassung der Häufigkeitsverteilung der in der Literatur als funktional eingestuften Stifthaltungen (Abb.
1): Dreipunktgriff, Vierpunktgriff, seitlicher Dreipunktgriff und seitlicher Vierpunktgriff. Der interdigitale Griff wird aus dem bereits oben aufgeführten Grund nachfolgend nicht berücksichtigt. Interessant ist die Analyse im zeitlichen Verlauf sowie der Vergleich länderspezifischer Ergebnisse.
Tab. 1
Häufigkeitsverteilung (Anzahl und Prozent) der Stifthaltungen im zeitlichen Verlauf und Ländervergleich
Table 1
Frequency distribution (number and percent) of pen holds over time and for different countries
383 (85,7 %) | 0 (0 %) | 45 (10,1 %) | 0 (0 %) | 19 (4,3 %) | | 447 Erwachsene Rechtshänder (58 Studierende der Ergotherapie, 314 Wahlteilnehmer und 113 Studierende der Medizin) |
82a (68,3 %) | 0 (0 %) | 30 (25,0 %) | 0 (0 %) | 8 (6,7 %) | Schneck und Henderson ( 1990), USA | 120c Kindergarten- und Vorschulkinder im Alter von 5,5–6,11 Jahren; 60 m/60 w |
41 (44,6 %) | 7 (7,6 %) | 40 (43,5 %) | 0 (0 %) | 4 (4,3 %) | | 92c Kindergarten- und Vorschulkinder im Alter von 5,5–6,4 Jahren; 45 m/47 w |
23 (50,0 %) | 13 (28,3 %) | 2 (4,3 %) | 4 (8,7 %) | 4 (8,7 %) | Dennis und Swinth ( 2001), USA | 46 Schulkinder im Alter von 9,3–10,9 Jahren; 4. Klasse; 18 m/28 w; 4 l/42 r |
38 (37,6 %) | 18 (17,8 %) | 22 (21,8 %) | 21 (20,8 %) | 2 (2,0 %) | Koziatek und Powell ( 2003), USA | 101 Schulkinder in der 4. Klasse, im Alter von 9,0–10,7 Jahren; 44 m/57 w |
68 % | 12 % | 8 % | 12 % | – | Summers und Catarro ( 2003), Australien | 66 Studierende der Ergotherapie im Alter von 18–39 Jahren; 7 m/59 w |
27b (22,5 %) | 17b (14,2 %) | 23b (19,2 %) | 26b (21,7 %) | 3b (2,5 %) | Schwellnus ( 2012), Kanada | 120 Schüler/innen der 4. Klasse mit durchschnittlichem Alter von 9 Jahren 11 Monaten; 59 m/61 w |
In 1990 beobachtete Bergmann die Stifthaltung von 447 Erwachsenen in den USA beim Unterschreiben oder während des Schreibens von Prüfungen. Die Mehrheit (85,7 %,
n = 383) verwendete wie erwartet einen Dreipunktgriff. Der Dreipunktgriff wird von Pädagogen und Ergotherapeuten als die effizienteste Stifthaltung angesehen und ist daher erwünscht, so Bergmann (S. 736). Bergmann geht in ihrer Studie auf den dynamischen Dreipunktgriff ein. Beim dynamischen Dreipunktgriff wird der Stift mit winzigen Bewegungen (d. h. Fingerbeugung und -streckung) zwischen den vorderen Fingerballen von Daumen und Zeigefinger geführt, wobei der Stift auf dem radialen Ende des Mittelfingers liegt, Zeigefinger und Daumen stehen in voller Opposition (Rosenbloom und Horton
1971). Unerwartet zeichnete sich schon damals eine Tendenz der häufigen Verwendung eines anderen Griffes zum traditionell akzeptierten dynamischen Dreipunktgriff ab, der von Bergmann (
1990) als „funktionale Alternative“ vermutet wurde: Der sogenannte seitliche Dreipunktgriff. Bei diesem Griff liegt der Stift auf dem radialen Ende des Mittelfingers, der vordere Fingerballen des Zeigefingers liegt auf dem Stift, der Daumen ist adduziert und liegt über oder unter dem Zeigefinger (Schneck und Henderson
1990). Der seitliche Dreipunktgriff wurde bei Bergmann zwar als zweithäufigste Stifthaltung von Erwachsenen verwendet (10,1 %,
n = 45), jedoch mit einer deutlich geringeren Präferenz (als der Dreipunktgriff). Vierpunktgriffe wurden von der Autorin nicht genannt. Bei allen Probandengruppen, d. h. Studierende der Ergotherapie, Wahlteilnehmer und Studierende der Medizin wird der Dreipunktgriff mit Abstand als häufigster Griff verwendet (mit jeweils über 83 %).
Schneck und Henderson (
1990) beobachteten im gleichen Jahr 320 Kinder beim Zeichnen und Ausmalen, davon 120 Kindergarten- und Vorschulkinder im Alter zwischen 5–6 Jahren in den USA. Das Ergebnis ihrer Studie war ebenfalls, dass die Mehrheit der 5–6 Jährigen (68,3 %,
n = 82), einen Dreipunktgriff verwendeten. Differenziert wurde hier zwischen einem dynamischen und einem statischen Dreipunktgriff, wobei bei einem statischen Dreipunktgriff die winzigen Fingerbewegungen fehlen, so dass die ganze Hand bewegt wird (Rosenbloom und Horton
1971; Schneck und Henderson
1990). Die Fingerbewegungen werden durch Handgelenk- und Armbewegungen ersetzt. Auffallend ist, dass das Verhältnis zwischen dem Dreipunktgriff und dem seitlichen Dreipunktgriff bei den Kindern in der Studie von Schneck und Henderson (
1990) geringer ist als bei den Erwachsenen in der Studie von Bergmann (
1990). Ein Viertel der Kinder in der genannten Altersgruppe nutzten den seitlichen Dreipunktgriff (25,0 %,
n = 30). Aufgrund dieser Häufigkeit klassifizierten Schneck und Henderson (
1990) den seitlichen Dreipunktgriff daher ebenfalls als reife Stifthaltung: „Wir haben auch den seitlichen Dreipunktgriff als reif eingestuft, weil wir den bei vielen der ältesten untersuchten Kinder beobachtet haben.“ (Schneck und Henderson
1990, S. 896).
Im Jahr 1998 wiederholte Tseng die Studie von Schneck und Henderson (
1990) bei 326 taiwanesischen Kindergarten- und Vorschulkinder, davon 92 im Alter von 5–6 Jahren. Interessant ist, dass bei den taiwanesischen Kindern die Häufigkeit des Dreipunktgriffes (44,6 %,
n = 41) und des seitlichen Dreipunktgriffes (43,5 %,
n = 40) vergleichbar waren. Der Anteil der taiwanesischen Kinder, die den seitlichen Dreipunktgriff verwendeten, war fast doppelt so hoch wie der von amerikanischen Kindern in der Studie von Schneck und Henderson (
1990). Tseng (
1998) vermutet, dass kulturelle Unterschiede, wie z. B. die Besonderheiten des chinesischen Schriftsystems oder eine zu frühe Heranführung an handschriftliche Aufgaben bei chinesischen Kindern (ab dem 3. Lebensjahr), dies beeinflussen könnten. Der zuvor von Benbow (
1987) definierte Vierpunktgriff wurde auch von Tseng (
1998) bei den taiwanesischen Kindern (7,6 %,
n = 7) beobachtet. Beim Vierpunktgriff liegen die Fingerballen von Zeige- und Mittelfinger auf dem Stift, der gegen die radiale Seite des Ringfingers stabilisiert wird. Dabei liegt der Daumen in voller Opposition. Weil er ebenfalls koordinierte, intrinsische Bewegungen gewährt, empfiehlt Tseng (
1998), neben dem seitlichen Dreipunktgriff, auch den Vierpunktgriff als funktional zu betrachten.
Die Studienergebnisse von Dennis und Swinth (
2001) weichen hinsichtlich der Häufigkeitsverteilung von früheren Studien leicht ab (z. B. Bergmann
1990; Schneck und Henderson
1990). Obwohl auch in ihrer Studie der Dreipunktgriff am häufigsten verwendet wurde (50,0 %,
n = 23), wurde anstelle des seitlichen Dreipunktgriffes (4,3 %,
n = 2) am zweithäufigsten der Vierpunktgriff verwendet (28,3 %,
n = 13). In der Schülergruppe im Alter von 9–10 Jahren (
n = 46) identifizierten sie eine neue Stifthaltung, die – in ihrem Fall – häufiger als der seitliche Dreipunktgriff beobachtet wurde. Die Autorinnen klassifizierten diese Stifthaltung als seitlichen Vierpunktgriff (8,7 %,
n = 4): eine Kombination aus dem seitlichen Dreipunktgriff und dem Vierpunktgriff (Dennis und Swinth
2001). Dennis und Swinth vermuten, dass der seitliche Vierpunktgriff in früheren Studien möglicherweise als seitlicher Dreipunktgriff eingestuft wurde, weil beide Griffe ähnlich aussehen. Dennoch passen sie nicht zu den bisherigen Beschreibungen.
Koziatek und Powell (
2003) beobachteten, den von Dennis und Swinth (
2001) neu definierten seitlichen Vierpunktgriff, bei etwa einem Fünftel der Kinder. Sie identifizierten die Stifthaltungen bei 101 Schüler/innen (9–10 Jahre) in den USA. Obwohl der Dreipunktgriff auch bei Koziatek und Powell (
2003) am häufigsten vorkam (37,6 %,
n = 38), lag die Häufigkeit der anderen Griffe nah an dem Dreipunktgriff: seitlicher Dreipunktgriff (21,8 %,
n = 22), seitlicher Vierpunktgriff (20,8 %,
n = 21) und Vierpunktgriff (17,8 %,
n = 18). Bei der Untersuchung des Einflusses dieser vier Stifthaltungen auf die Leserlichkeit und Schreibgeschwindigkeit bei Kindern in der 4. Klasse konnten sie keinen signifikanten Unterschied feststellen. Sie argumentieren daher, dass alle vier Stifthaltungen als funktional eingestuft werden sollen.
In 2003 untersuchten Summers und Catarro 66 australische Studierende der Ergotherapie im Alter von 18–39 Jahren. Die beobachtete Prävalenz des Dreipunktgriffes bei den Erwachsenen lag bei 68 %. Dies war mehr als ein fünffaches der anderen Griffen, die untereinander ähnlich häufig verwendet wurden: Vierpunktgriff (12 %), seitlichen Vierpunktgriff (12 %) und seitlichen Dreipunktgriff (8 %). Das Verhältnis bei den Erwachsenen in Bergmanns Studie (
1990) lag bei ca. 1:9 zwischen Dreipunktgriff und seitlichem Dreipunktgriff.
In 2012 untersuchte Schwellnus 120 kanadische Schüler/innen in der 4. Klasse (MW = 9 Jahre 11 Monate). Wie bei Koziatek und Powell (
2003) war die Verwendung des Dreipunktgriffes (22,5 %,
n = 27) vergleichbar mit der Häufigkeit des seitlichen Vierpunktgriffs (21,7 %,
n = 26). Der Gebrauch des seitlichen Dreipunktgriffs (19,2 %,
n = 23) und des Vierpunktgriffs (14,2 %,
n = 17) lag leicht hinter den anderen.
Eine Betrachtung des zeitlichen Verlaufs der genannten Studien weisen auf eine mögliche Veränderung der Stifthaltung zwischen den Generationen hin. Obwohl der Dreipunktgriff in der Studie von Bergmann (
1990) wie auch bei Summers und Catarro (
2003) der häufigste Griff bei den Erwachsenen und gegenüber den anderen als funktional geltenden Griffe weit überlegen war, scheint sich in den jüngeren Generationen die Verwendung dieser anderen Griffe diesem anzunähern (Koziatek und Powell
2003; Schwellnus
2012). Einer ausführlichen Untersuchung dieses Phänomens in drei Generationen (Schüler/innen in der Grundschule, Schüler/innen im Sekundarbereich und Erwachsenen) widmete sich Bladon (
2011). Die Ergebnisse ihrer statistischen Analyse ergaben bei Jugendlichen, die in den frühen 1980er-Jahren eingeschult wurden, eine sprunghafte Veränderung der Häufigkeitsverteilung mit der Zunahme anderer Griffe als dem Dreipunktgriff.