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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

Politische Rücktritte im Recht

verfasst von : Alexander Thiele

Erschienen in: Rücktritte von politischen Ämtern

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Politische Rücktritte, verstanden als die einseitige Loslösung von hohen politischen Staatsämtern vor Ablauf der regulären Amtszeit, haben neben einer politischen stets auch eine verfassungsrechtliche Dimension. Diese betrifft neben der Frage nach der prinzipiellen Zulässigkeit entsprechender Rücktritte vor allem diejenige nach dem konkreten Rücktrittsverfahren und den rechtlichen Rücktrittsfolgen. Der Blick in das Grundgesetz hilft insoweit allerdings kaum weiter, da sich darin für keines der hohen Staatsämter eine explizite Rücktrittsregelung findet, obwohl den Verfassungsvätern und -müttern selbstverständlich bewusst war, dass es zu solchen Vorgängen kommen könnte. Der Beitrag will diese Fragen daher durch die Entwicklung allgemeiner verfassungsrechtlicher Rücktrittsgrundsätze beantworten, die anschließend auf die einzelnen hohen Staatsämter, namentlich Bundespräsident, Bundeskanzlerin, Bundesministerinnen und -minister sowie Bundestagsabgeordnete, angewandt werden. Rücktritte sind danach bei all diesen Ämtern im Grundsatz zulässig, zur Sicherstellung der Kontinuität der Staatsleitung bestehen jedoch amtsspezifische Einschränkungen eines völlig freien Rücktrittsrechts. Auch die Rücktrittsverfahren und Rechtsfolgen sind jeweils unterschiedlich ausgestaltet. Ob es in einer konkreten Situation tatsächlich zu einem (zulässigen) Rücktritt kommt ist allerdings auch eine Frage der im politischen Raum vorherrschenden politischen Rücktrittskultur. Die verfassungsrechtliche Möglichkeit des Rücktritts führt mithin nicht dazu, dass ein solcher auch stets stattfindet, wo man ihn erwarten würde – eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Rücktritt besteht auch in vermeintlich eindeutigen Fällen nicht.

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Fußnoten
1
Zum amerikanischen Impeachment-Verfahren nur Sunstein (vgl. 2017).
 
2
Die Familienministerin Anne Spiegel trat im April 2022, die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im Januar 2023 zurück.
 
3
Überblick zum Amtsverhältnis bei Vogt (vgl. 2020, S. 27 ff.).
 
4
Die Übertragung des Amtes erfolgt meist durch eine förmliche Ernennung, kann aber – wie etwa beim Bundespräsidenten – auch unmittelbar durch die Wahl und die Annahme derselben erfolgen.
 
5
Zur Entstehung des Grundgesetzes vgl. knapp Thiele (2021, S. 349 ff.).
 
6
Art. 91 Abs. 2 des Herrenchiemseer Entwurfs lautete: „Im Falle des Todes des Bundeskanzlers übernimmt der Stellvertreter die Geschäfte des Amtes. Das gleiche gilt, wenn der Bundeskanzler zurücktritt und der Bundespräsident davon absieht, ihn um die Weiterführung der Geschäfte zu ersuchen.“ In Art. 95 des Entwurfs waren dann die Rücktrittsmodalitäten für den Bundeskanzler und die Bundesminister normiert. Beide Bestimmungen sind nicht in das Grundgesetz aufgenommen worden.
 
7
Im Parlamentarischen Rat fand der Vorschlag, in einem Grundgesetzartikel die verschiedenen Fälle der Beendigung des Amtes des Bundeskanzlers zusammenzufassen, keine Mehrheit. In dem Vorschlag war auch der Rücktritt explizit aufgeführt (vgl. dazu Schenke 2022, Art. 69 Rn. 57).
 
8
Zum Begriff der Verantwortung vgl. Thiele (2014, S. 239 ff.).
 
9
Vgl. Art. 56 Abs. 1 (iVm Art. 64 Abs. 2) GG: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“
 
10
Eine ausführliche Kategorisierung findet sich bei Philipp (vgl. 2007).
 
11
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger trat am 15. Dezember unter Tränen vom Amt der Justizministerin zurück, da sie das Gesetz über den sog. „Großen Lauschangriff“ nicht mit ihrem liberalen Gewissen vereinbaren konnte (vgl. Philipp 2007, S. 107). „Überzeugungstreue war ihr wichtiger als der Ministersessel“ (Ebd.).
 
12
Erhard Eppler trat im Jahr 1974 von seinem Amt als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgrund erheblicher Mittelkürzungen zurück.
 
13
Jacinda Ardern kündigte Mitte Januar 2023 auf einer Pressekonferenz ihren Rücktritt an. Als Grund führte sie an, dass ihr für die Weiterführung des Amtes die notwendige Kraft fehle. Die neuseeländische Öffentlichkeit von diesem Schritt überrascht – Ardern stand zwar unter anderem für ihre Coronapolitik in der Kritik, ein Rücktritt wurde aber weder allgemein diskutiert noch von der Opposition gefordert.
 
14
„Der Verzicht von Heinrich Lübke beispielsweise zeigt, dass nicht nur ein einziges Motiv zur Begründung eines Verzichts herangezogen werden kann, sondern es verschiedene und sogar offizielle und inoffizielle Gründe geben kann.“ (Vogt 2020, S. 179).
 
15
So trat etwa im Mai 2022 Stephan Mayer vom Posten als CSU-Generalsekretär zurück. Hintergrund waren Anschuldigungen gegen Mayer, einen Journalisten bedroht zu haben. Offiziell machte Mayer aber gesundheitliche Gründe für seinen Rücktritt geltend. Siehe allgemein auch Philipp (vgl. 2007, S. 24).
 
16
In den USA wurde Donald Trump als einziger Präsident gleich zweimal angeklagt, in beiden Fällen aber vom Senat aus politischen Gründen nicht verurteilt. Über die Einleitung eines Verfahrens nach dem 25. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung wurde zwar immer wieder nachgedacht, letztlich ist es dazu aber nicht gekommen.
 
17
Siehe Art. 57 GG einerseits und Art. 69 GG andererseits.
 
18
BVerfGE 136, 323 (332).
 
19
Zutreffend Vogt (vgl. 2020, S. 174). Anders hingegen Schaefer (vgl. 2012, S. 420), der allein den Bundesratspräsidenten als den Vertreter des Bundespräsidenten als Erklärungsempfänger ansieht.
 
20
Siehe zu möglichen Grenzen der Amtsbefugnisse des kommissarischen Bundespräsidenten allerdings Schaefer (vgl. 2012, S. 423).
 
21
Es handelt sich um eine Ereignisfrist, die also am Tag nach der Rücktrittserklärung um 0:00 Uhr beginnt.
 
22
Zur Stellung des Bundeskanzlers siehe auch Hermes (vgl. 2015, S. Art. 62 Rn. 15 ff.).
 
23
Dazu allgemein Thiele (vgl. 2022, S. 245 ff.).
 
24
Untechnisch wird dieser meist als „Vizekanzler“ bezeichnet.
 
25
In der Praxis nimmt der Bundeskanzler nach seiner Wahl erst die Ernennungsurkunde entgegen und leistet im Anschluss den Amtseid vor dem Bundestagspräsidenten. Es folgt die Ernennung der Bundesminister, die dann ebenfalls im Anschluss ihren Amtseid ablegen.
 
26
Den Hintergrund dieser Bestimmung bildet letztlich das in Art. 20 Abs. 1 GG normierte Demokratieprinzip. Da die BundesministerInnen allein durch den Bundeskanzler auf das Volk zurückgeführt werden können, ist ihr Amt zwingend mit demjenigen des Bundeskanzlers verknüpft.
 
27
Zur Diskussion siehe Vogt (vgl. 2020, S. 121 ff.).
 
28
Öffentlich wird das meist mit der Aussage kombiniert, dass der Bundesminister dem Bundeskanzler seinen Rücktritt angeboten habe, er diesen aber „nicht angenommen“ habe. Formal juristisch ist das allerdings unzutreffend, da der einseitige Rücktritt des Bundesministers keiner Annahme durch den Bundeskanzler bedarf. Richtigerweise wurde der Rücktritt also vor dessen Vollzug und nach einem Gespräch mit dem Bundeskanzler einseitig wieder zurückgenommen.
 
29
Überhangmandate wird es allerdings im zukünftigen Wahlrecht voraussichtlich nicht mehr geben.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Epping, Volker. 2018. Kommentar zu Art. 69. In: von Mangoldt / Klein / Starck: Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2: Art. 20-82, hrsg. v. Peter Huber und Andreas Voßkuhle, 7. Aufl. München: C. H. Beck. Epping, Volker. 2018. Kommentar zu Art. 69. In: von Mangoldt / Klein / Starck: Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2: Art. 20-82, hrsg. v. Peter Huber und Andreas Voßkuhle, 7. Aufl. München: C. H. Beck.
Zurück zum Zitat Hermes, Georg. 2015. Kommentar zu Art. 62. In Grundgesetz, Kommentar, Bd. II: Art. 20-82, hrsg. v. Horst Dreier, 3. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck. Hermes, Georg. 2015. Kommentar zu Art. 62. In Grundgesetz, Kommentar, Bd. II: Art. 20-82, hrsg. v. Horst Dreier, 3. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck.
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Metadaten
Titel
Politische Rücktritte im Recht
verfasst von
Alexander Thiele
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-43947-7_3

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