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16.08.2023 | Innovationsmanagement | Schwerpunkt | Online-Artikel

So gelingt Innovation im Reallabor

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

5:30 Min. Lesedauer

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Ingolstadt und Heilbronn sind Test- und Experimentierfeld zur Lösung von komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen. Im offenen Prozess wird dort Wissen zusammengebracht, gemeinsam erweitert, getestet und umgesetzt. Worauf dabei zu achten ist, erklärt eine Fraunhofer-Publikation.

Ingolstadt hat sich seit 2018 zum Smart City Living Lab entwickelt. Einem Experimentierfeld für die Mobilitätsforschung und intelligente Verkehrssteuerung. Hamburg, Kopenhagen oder Göteborg sind weitere Beispiele für Städte, die mit verschiedenen Projekten zur intelligenten Stadtentwicklung dauerhafte oder temporäre Reallabore eingerichtet haben. Heilbronn will sich mit dem Innovationsareal "Innovation Park Artificial Intelligence (Ipai)" zum "KI-Kraftzentrum" der Region entwickeln. 

All diese Städte machen sich die Innovationsmethode Reallabor zunutze. Sie stellen sich zur Verfügung als Test- und Experimentierräume in der realen Welt und treiben so die Suche nach Lösungen für ein nachhaltiges Miteinander in einer smarten, lebenswerten Zukunft voran.

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Das Reallabor als Spielwiese für Wissenstransfer und Experiment

Reallabore ermöglichen die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen Akteuren, die normalerweise in getrennten Bereichen arbeiten. In den Experimentierumgebungen kommen Personen aus der Wirtschaft und Wissenschaft mit öffentlichen Trägern und innovativen Start-ups zusammen. Gemeinsam werden Technologien, Produkte oder Services entwickelt und getestet. Solche Kooperationen bündeln alle verfügbaren Ressourcen auf ein zu lösendes Problem und machen es möglich, dass Expertise unter Einsatzbedingungen ausgetauscht und angewendet wird. 

Alle relevanten Stakeholder sind in den Innovationsprozess aktiv eingebunden. Partizipation und Beteiligung aus der Bürgerschaft oder von potenziellen Nutzerinnen und Nutzern erweitert die Palette multiperspektivischer Meinungen und Bedürfnisse. So können praxisnahe und vertrauenswürdige Anwendungen entstehen sowie der technologische Vorsprung gesichert werden. 

Innovationsturbo Reallabor

Reallabore stellen nach Ansicht von Forschenden am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) einen "vielversprechenden und viel diskutierten" Ansatz für die Beschleunigung von Innovation dar. Simulationen und Modelle könnten die Wechselwirkungen zwischen Innovation und Umwelt nur "unzureichend" abbilden. "Reallabore bieten eine Möglichkeit, die Innovation und ihre Wechselwirkungen mit Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft in einem klar definierten Umfeld zu untersuchen", erläutert Bernd Bienzeisler, Leiter des Forschungszentrums KODIS am Fraunhofer IAO. 

Mit der Publikation "Innovationsmethode Reallabor" stellt das Institut nun eine Publikation zur Verfügung, die, basierend auf existierenden Beispielen und Interviews, eine Übersicht bietet über alle Varianten von Reallabors, ihren Herausforderungen und Vorteilen.

Die Studie identifiziert sieben Strukturen von Reallaboren. Sie erklärt deren Charakteristika und liefert Handlungsempfehlungen für die Umsetzung:

Reallabor

Ausprägung

Beispiele

Demonstrationswelt

Künstliche Umgebung, in der marktreife Technologien aus der Realwelt zu Demonstrationszwecken wieder aufgebaut werden.


Future Work Lab, Stuttgart

Modulares Living Lab

Haus oder Areal mit flexibler Infrastruktur, in dem Reallabore mit thematischem Fokus auf Bedürfnisse von Nutzenden eingerichtet werden.

Innovative Retail Laboratory, St. Wendel

Well Living Lab, Minnesota

KI-Reallabor

Virtuelles Reallabor, in dem Daten einer Umgebung gesammelt, aufgearbeitet und Forschenden oder Entwickler*innen zur Verfügung gestellt werden.

Smart Factory OWL mit KI-Reallabor Lemgo

Smart City Living Lab

Testareal für spezifische Technologien im städtischen Kontext

DOLL Living Lab, Kopenhagen

Urban Living Lab

Reallabor mit Fokus auf Stadtgestaltung, Quartiersentwicklung und gesellschaftlicher Partizipation mit inklusivem Charakter im urbanen Kontext.

KARLA, Karlsruhe

Innovationsareal

Große Infrastruktur, von denen Reallabore ein Teil sein können.

Smart Campus, Heilbronn

Andorra Living Lab, das gesamte Fürstentum Andorra

Integriertes Reallabor

Eine bestehende Struktur (z. B. Fabrik) wird durch Umgestaltung zum Reallabor, behält aber ihre ursprüngliche Funktion.

INSPIRE Living Lab, Mannheim

Demofabrik Aachen

(alle Daten: Fraunhofer IAO)

Reallabore experimentieren für eine smarte Zukunft

Gegenwärtig fokussieren sich Reallabore auf die Transformation der gesellschaftlichen Kernthemen Stadtentwicklung, Mobilität, Nachhaltigkeit und Energiewendeforschung. Letztere spielen auch im Bereich der politischen Förderung eine wesentliche Rolle. Während die Entwicklung von KI-Services und KI-Produkten erst allmählich an Bedeutung zunimmt, haben sich KI-Technologien etwa beim Auswerten von Daten längst etabliert. In Urban Living Labs, die sich mit der Gestaltung städtischer Räume befassen, spielt Künstliche Intelligenz der Fraunhofer-Studie zufolge noch eine untergeordnete Rolle.

Die Springer-Autorinnen Monika Bachinger und Regina Rhodius verweisen in ihrer Beschreibung eines Reallabor-Projektes im Nordschwarzwald auf den experimentellen Charakter: "Reallabore können als Nischen betrachtet werden, in denen sozio-technische Innovationen abseits der dominanten gesellschaftlichen Logik entwickelt, getestet und etabliert werden können und anhand derer über die Gestaltung von Veränderungsprozessen gelernt werden kann (Seite 76)." Allerdings dürften Ergebnisse aus dem Reallabor nicht isoliert betrachtet werden, sie müssen in der Ansammlung verschiedener Nischenexperimente systemisch zusammenwirken. Aber wie funktionieren transdisziplinäre Wissenschaft und Partizipation?

Was im Reallabor passiert, geht alle an

"Wir alle sind aufgerufen, uns an der wissenschaftlichen Gestaltung unserer Welt zu beteiligen", schreiben Rolf Franken und Swetlana Franken in "Wissens- und Innovationsmanagement in einer dynamischen Umwelt" (Seite 12). Wissenschaftliches Handeln, so erklären sie, folgt einer Systematik, die Nachvollziehbarkeit ermöglicht. Die Werte einer transformativen Wissenschaft sind (Seite 13): 

  • Transparenz
  • Reflexivität
  • Wertebezug
  • Partizipation
  • Vielfalt

Basierend auf diesen Werten, werden folgende Prozessschritte, spezifiziert auf das zu lösende Problem, durchlaufen:

  • Problemanalyse, 
  • Visionsentwicklung, 
  • Experimente (in Reallabors) sowie 
  • Diffusion und Lernen. 

"Insbesondere geht man bei der Durchführung nicht davon aus, sofort die ganze Welt zu verändern, sondern zunächst in ausgewählten realen Umgebungen (Reallabors) die angestrebten Änderungen zu testen und erst im Erfolgsfall die Übertragung in das Gesamtsystem vorzunehmen" (Seite 13). Problematisch an Innovationen aus dem Reallabor sei jedoch das Fehlen von rechtlichen Regelungen. 

Reallaborexperimente mit "lernendem Recht" absichern

Als Versuchs- und Transferräume sollen Reallabore nicht zu einer "flächendeckenden oder pauschalen Deregulierung beitragen, die gegebenenfalls mit dem Abbau von Sicherheits- und Schutzstandards einhergeht" (Seite 348). Aufgabe von allen Beteiligten und der Gesetzgebung ist nun, den rechtlichen Nutzungsrahmen zu analysieren und Impulse für neue Regelwerke, wie etwa Experimentierklausen, zu schaffen. Die rechtliche Situation von Reallaboren fassen Stang et al. aus den Empfehlungen des ehemaligen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi) zusammen (Seite 348): 

  • Häufig sind innovative Technologien oder Geschäftsmodelle nur bedingt mit dem bestehenden Rechts- und Regulierungsrahmen vereinbar.
  • Reallabore nutzen (deshalb) rechtliche Spielräume. Experimentierklauseln oder andere Flexibilisierungsinstrumente machen es möglich, Reallabore auch dann umzusetzen, wenn die zu erprobenden Technologien oder Geschäftsmodelle im allgemeingültigen rechtlichen Rahmen noch nicht vorgesehen sind.
  • Reallabore sind mit einem "regulatorischen Erkenntnisinteresse" verbunden. Das heißt: Nicht nur die Innovation steht im Fokus, sondern auch die Frage, was der Gesetzgeber für die zukünftige Rechtsetzung lernen kann. Nur wenn mit Reallaboren ein regulatorischer Lernprozess verknüpft ist, können sie auch zu besseren Gesetzen führen.

In "Reallabore rechtlich absichern", pflichtet Hermann Hill dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) bei, das einen "smarten" Rechtsrahmen formuliert haben will. "Eine solche "Better Regulation" (im übergreifenden Sinn von Gesetzgebung, auch durch Experimentierklauseln, und Vollzug beziehungsweise Überwachung) würde zudem einem modernen Verständnis eines lösungsorientierten und wertschöpfenden sowie agilen und lernenden Rechts Rechnung tragen" (Seite 11).

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