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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

9. Fazit

verfasst von : Thomas Marzi, Manfred Renner

Erschienen in: Das Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Manche Leserin oder mancher Leser wird sich bei der Lektüre dieses Buches vielleicht gefragt haben, wie seine Autoren zur Circular Economy und Bioökonomie stehen. Wir beginnen unser Fazit deshalb mit einer Klarstellung und bekennen uns, um Missverständnisse zu vermeiden, ausdrücklich zur Circular Economy. Wir können uns nicht vorstellen, dass eine nachhaltige Entwicklung ohne sie gelingen kann. Stoffe mehrfach zu nutzen sowie Materialien und Produkte wiederzuverwenden, ist, wenn es gelingt, Rebound-Effekte zu vermeiden, ökonomisch, sozial und ökologisch sinnvoll.
Manche Leserin oder mancher Leser wird sich bei der Lektüre dieses Buches vielleicht gefragt haben, wie seine Autoren zur Circular Economy und Bioökonomie stehen. Wir beginnen unser Fazit deshalb mit einer Klarstellung und bekennen uns, um Missverständnisse zu vermeiden, ausdrücklich zur Circular Economy. Wir können uns nicht vorstellen, dass eine nachhaltige Entwicklung ohne sie gelingen kann. Stoffe mehrfach zu nutzen sowie Materialien und Produkte wiederzuverwenden, ist, wenn es gelingt, Rebound-Effekte zu vermeiden, ökonomisch, sozial und ökologisch sinnvoll. Der Weg in eine Circular Economy kann zudem dazu beitragen, einen Wertewandel herbeizuführen, durch den Ressourcen ökonomisch und emotional wertgeschätzt werden. Wir halten es deshalb für dringend erforderlich, Strategien zur Entwicklung einer Circular Economy auf den Weg zu bringen. Auf europäischer Ebene gibt es eine solche bereits, in Deutschland steht sie noch aus. Aufgrund globaler Lieferketten wird es wichtig sein, Strategien über die Europäische Union hinaus, international abzustimmen.
Auf dem Weg zu einer Circular Economy reicht es nicht, Wiederverwertungskonzepte und Recyclingverfahren zu entwickeln. Sie müssen vielmehr Teil eines umfassenden Wandels sein, der, neben technischen Entwicklungen, auch ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen beinhaltet. Sowohl Elemente einer Sharing Economy als auch die Wiederaufarbeitung hochwertiger Produkte („Remanufacturing“) und die Entwicklung einer Reparaturkultur sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Eine wichtige Rolle werden wahrscheinlich „Produkt-Service-Systeme (PSS)“ spielen. Dabei handelt es sich um Geschäftsmodelle, in denen materielle Produkte über die Dauer ihrer Nutzung mit verschiedenen Serviceleistungen verknüpft werden.1 In nutzungsorientierten PSS haben die Kunden für eine bestimmte Zeit Zugang zu den Funktionen eines Produkts, dass sie so nutzen, als ob es ihr Eigentum wäre. Eigentümer ist jedoch nicht der Nutzer, sondern der Anbieter. Er ist in einer Circular Economy für die Wiederaufarbeitung des Produkts verantwortlich. Sinn der Sache ist, ein ökonomisches Interesse zu generieren, dass Produkte und Vertriebswege so konzipiert werden, dass eine Wiederverwertung möglichst unkompliziert erfolgen kann. Substanziell für die Circular Economy ist, dass sowohl für die Produktherstellung als auch für Reparatur-, Wiederaufarbeitungs- und Recyclingprozesse regenerative Energie eingesetzt wird. Das gilt auch für die damit verbundenen Transportvorgänge und die Logistik („Reverse Logistics“).
So wichtig die Circular Economy für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen auch ist, eines kann sie nicht leisten: Sie ist kein Freifahrtschein für grenzenloses Wirtschaftswachstum! Eine Circular Economy entbindet uns nicht von der Frage, wie ein Wirtschaftssystem, das auf ständiges Wachstum angewiesen ist, verändert werden kann, ohne Menschen ins Elend zu stürzen. Ein nachhaltiger Umgang mit dem Planeten Erde wird auch in einer Circular Economy nicht im ausreichenden Maße möglich sein, wenn unser Konsumverhalten so weitergeht wie bisher. Es ist leicht gesagt und schwer getan, aber es muss auch nach weiteren Möglichkeiten zur Ressourcen- und Naturschonung gesucht werden, beispielsweise durch Suffizienz. Eine Circular Economy macht solche Ansätze nicht überflüssig. Im Gegenteil, Suffizienz kann auch ein Teil ihrer Reduzierungsstrategie sein.
Was die Bioökonomie betrifft, ist unser Standpunkt ambivalenter als bei der Circular Economy. Auf der einen Seite werden wir, wenn wir auf fossile Rohstoffe künftig verzichten wollen, andere kohlenstoffhaltige Materialien wie Biomasse zur Herstellung von Produkten benötigen. Auch biotechnische Verfahren werden in einer an Nachhaltigkeit ausgerichteten Produktion einen wichtigen Beitrag leisten müssen. Auf der anderen Seite bedeutet Bioökonomie in ihrer heutigen Lesart aber auch, dass die belebte Natur ökonomisch mehr und intensiver genutzt wird als bisher. Mit den aufgrund des Klimawandels weniger und trockener werdenden landwirtschaftlichen Flächen müssen in einer Bioökonomie nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Rohstoffe für industrielle Produkte hergestellt werden. Diese Flächenkonkurrenz wird zusätzlich verschärft, weil aus Gründen des Artenschutzes ausreichend große Bereiche nicht intensiv genutzt werden dürfen. Eine Bioökonomie darf deshalb kein unregulierter Markt sein, sondern muss so organisiert werden, dass genügend Nahrungsmittel produziert und ökologische Grenzen nicht überschritten werden. Letzteres werden sie jedoch schon heute.
Wie groß der Beitrag der Bioökonomie zu mehr Nachhaltigkeit sein kann, ist unklar. Wir orientieren unsere Position aus diesem Grund an einer Aussage, die der aktuelle dritte Bioökonomierat in einem Arbeitspapier getroffen hat. Der Rat schreibt, „dass die Bioökonomie prinzipiell einen Beitrag zu Nachhaltigkeit […] leisten kann“, dass es aber „unterschiedliche Auffassungen darüber [gibt], ob Bioökonomie Nachhaltigkeitsziele erreichen kann, wenn sie einer traditionellen Orientierung an Parametern wirtschaftlichen Wachstums folgt“. Eine andere, auf Suffizienzstrategien aufbauende Wirtschaftsweise, so der Rat weiter, hätte demnach auch „Konsequenzen für die Ausgestaltung der Bioökonomie“.2 Wir teilen diese Einschätzung und meinen, dass es sich lohnen könnte, den Fokus wieder mehr auf die Konzepte zu richten, die wir im vorliegenden Buch als „klassische Bioökonomie“, „Bioökonomie Lesart 1“ oder „Ökologische Ökonomie“ bezeichnet haben.
Die klassische Bioökonomie ist etwas völlig anderes als ihre heutige Namensvetterin. Sie betrachtet das Wirtschaftssystem als Subsystem der Biosphäre und limitiert es in seinem Stoff- und Energieumsatz. Wirtschaft ist für sie Teil eines übergeordneten ökologischen Systems und nicht umgekehrt wie in den anderen Lesarten der Bioökonomie, wo Ökosysteme ein Teil der Wirtschaft sind. Diese Konzeption würde eine perspektivische Umkehr in der Erzählung der Bioökonomie beinhalten. Die Themen Biomassenutzung und biotechnische Verfahren ständen dann nicht, mit dem Anhängsel, nachhaltig sein zu müssen, für sich, sondern wären, zusammen mit der Circular Economy und anderen aufeinander abzustimmenden Konzepten, Werkzeuge einer ökologisch orientierten Wirtschaft. Auch in diesem Fall sollte nicht aus dem Blick geraten, dass die in der Ökologischen Ökonomie, Bioökonomie und Circular Economy verfolgten Ansätze eine systemische Perspektive auf die Welt wiedergeben, andere aber ausblenden. Systemvorstellungen sind aber nicht mit der Wirklichkeit identisch und können nicht absolut gesetzt werden. Sie sind Modelle, die in ihren Möglichkeiten, Natur zu erkennen und zu managen, nicht überbewertet werden dürfen. Dem Ziel zu folgen, Natur möglichst wenig umzugestalten, und uns mehr an sie anzupassen, wäre deshalb ebenfalls vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung.
Zusammenfassend ist unsere Position zur Circular Economy und Bioökonomie die folgende:
Wir werben für die Entwicklung und Umsetzung der Circular Economy und können einer Biomassenutzung in einem begrenzten Umfang zustimmen. Sowohl die Circular Economy als auch eine ökologisch regulierte Bioökonomie sind wichtige Instrumente im Rahmen von Nachhaltigkeitsstrategien. Etwas sind beide aber nicht: Die Circular Economy ist keine Kopie der Natur und die Bioökonomie nicht deren Partnerin oder wesensgleich mit ihr. Wogegen wir uns mit unserem Buch wenden, ist eine unangemessene, teils romantisierende Naturmetaphorik, mit der in einem Teil bioökonomischer und kreislaufwirtschaftlicher Konzepte argumentiert wird. Diese Argumentation mag hilfreich sein, Menschen zu begeistern, suggeriert aber, die Wirtschaft ließe sich in ein selbstorganisiertes System umwandeln, das gleich einem aus endlosen technischen und bioökonomischen Kreisläufen bestehenden Perpetuum mobile alle Bedürfnisse befriedigt. Diese Vorstellung erzeugt zwar ein gutes Gefühl, hindert womöglich aber daran, sich damit auseinanderzusetzen, wie ein Wandel des Konsumverhaltens erreicht werden kann. Letzteres ist aber unbedingt notwendig, auch wenn zwischen dem Konsum in reicheren und ärmeren Regionen, die den größeren Teil der Weltbevölkerung stellen, unterschieden werden muss. Zur Überwindung absoluter Armut wird es in ärmeren Regionen mehr Konsum geben müssen, während in reicheren Regionen weniger konsumiert werden muss, ohne dass es dabei zu sozialen Schieflagen kommt. Hoffnung macht in diesem Zusammenhang eine UN-Prognose, der zufolge die Weltbevölkerung durch „Investitionen in wirtschaftliche Entwicklung, Bildung und Gesundheit“ ab Mitte des Jahrhunderts zurückgehen könnte.3
Die Circular Economy ist kein selbstorganisiertes System, das Materialien und Stoffe in endlosen Kreisläufen bewegt.4 Diese werden zwar mehrfach, aber nicht endlos wiederverwendet. Technische Kreisläufe entstehen auch nicht von selbst, sondern müssen organisiert werden. Die Stoffe in den Prozessen der Circular Economy müssen durch Energie sowie menschliche oder maschinelle Arbeit in Umlauf gehalten werden. Sie sind Teil globaler Stoffumsätze, aber, unserer Auffassung nach, von anderer Art als Prozesse in der Biosphäre. Und die Bioökonomie? Eine romantisierend beschriebene Verbindung zwischen Menschen und Natur, wie sie im Narrativ des Bioökonomierates von 2016 formuliert wird (Zitat 3.​6),5 stellt sie jedenfalls nicht her. Die Bioökonomie ist nicht Natur, und sie macht Wirtschaft nicht natürlicher, sondern Naturteile zu einem Teil der menschlichen Wirtschaft.
Noch einmal: Wir befürworten die Circular Economy vollständig und lehnen auch eine eingeschränkte Biomassenutzung nicht ab. Wir möchten aber die Circular Economy und Bioökonomie als das nehmen, was sie sind. Sie sind keine Natur oder etwas der Natur Ähnliches, sondern Wirtschaftsformen. Ihre Erzählung sollten wir entsprechend anpassen.
Zum Schluss möchten wir noch einen wichtigen Punkt ansprechen, der bisher nur am Rande behandelt wurde. Er betrifft das Kreislaufmotiv. Teile der Circular Economy und Bioökonomie deuten es als Naturprinzip, das entweder in die Wirtschaft übertragen oder als Wirtschaft der Natur genutzt werden soll. Um die im vorliegenden Buch diskutierten Aspekte zu vervollständigen, ist deshalb noch die Frage offen, was Kreisläufe eigentlich sind. Hier ist nicht mehr der Platz, sie zu beantworten. Wir gehen ihr deshalb im zweiten Band unserer Reihe nach.
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Fußnoten
1
Schweitzer 2010, S. 7; Antikainen et al. 2021.
 
2
Bioökonomierat 2022, S. 9.
 
3
Vereinte Nation (UNO) 2022.
 
4
Auch die Prozesse in der Biosphäre sind nicht endlos und vollständig geschlossen. Ansonsten gäbe es weder Kohle noch Öl oder Erdgas.
 
5
Bioökonomierat 2016, S. 4.
 
Metadaten
Titel
Fazit
verfasst von
Thomas Marzi
Manfred Renner
Copyright-Jahr
2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-68230-2_9