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11.09.2020 | Arbeitsrecht | Schwerpunkt | Online-Artikel

Bei der Arbeitszeiterfassung sind noch Fragen offen

verfasst von: Dr. Christoph Abeln

3:30 Min. Lesedauer

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Seit der wegweisenden EuGH-Entscheidung hat das erste Mal ein deutsches Arbeitsgericht zur Arbeitszeiterfassung geurteilt. Warum das Urteil nicht unumstritten ist und was der deutsche Gesetzgeber plant, erklärt Rechtsanwalt Christoph Abeln.

Im Mai 2019 hat der EuGH beschlossen, dass die Mitgliedstaaten aus der EU-Grundrechtecharta verpflichtet seien, eine gesetzliche Regelung zur Arbeitszeiterfassung zu erlassen. Konkret solle jeder Arbeitgeber ein System einführen, mit dem sich die Arbeitszeit aller im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter vollumfänglich messen lässt. Dies ergebe sich aus Art. 31 II der Charta, der eine Begrenzung der Arbeitszeit sowie die Einhaltung von Ruhezeiten ausdrücklich vorsieht. Kurzum: Der deutsche Gesetzgeber muss tätig werden.

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Das EuGH-Urteil als Stein des Anstoßes 

Laut EuGH muss ein solches System "objektiv, verlässlich und zugänglich"sein. Eine Arbeitszeiterfassung sei die Grundvoraussetzung dafür, dass die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten der Arbeitnehmer tatsächlich auch überwacht und eingehalten werden könnten. Dem Recht der Arbeitnehmer auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie festgelegter Ruhezeiten misst der EuGH damit hohe Bedeutung bei. Außerdem: Nur mit einem umfassenden und verpflichtenden Zeiterfassungssystem sei es dem Arbeitnehmer als strukturell schwächere Partei des Arbeitsvertragsverhältnisses möglich, seine dahingehenden Rechte durchzusetzen und im Zweifelsfall auch gegen etwaige Verstöße erfolgreich vorzugehen.

Präzise wird durch das Urteil zudem herausgearbeitet, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sowohl für die reguläre Arbeitszeit als auch für etwaig geleistete Überstunden gelten muss. Das ausschließliche Erfassen von Überstunden reicht ausdrücklich nicht aus.

Paukenschlag des Arbeitsgerichts Emden

Das Arbeitsgericht Emden nimmt in einer Entscheidung aus dem Februar 2020 nunmehr direkten Bezug auf das besagte EuGH-Urteil. In dem Fall eines "Überstundenprozess" erfasste der Arbeitgeber die Arbeitszeit eines Bauhelfers lediglich in einem "Bautagebuch". Dies sei nicht ausreichend, so das Arbeitsgericht Emden. Denn: Ein solches Bautagebuch entspräche gerade nicht den durch den EuGH unlängst definierten Standards eines "objektiven, verlässlichen und zugänglichen" Arbeitszeiterfassungssystems.

Das Aufsehenerregende an dem Urteil: Das Arbeitsgericht wartet nicht, bis der deutsche Gesetzgeber ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung verabschiedet, sondern wendet die vom EuGH geschaffenen Grundsätze direkt an. Eine nicht ganz unumstrittene Entscheidung – insbesondere da das Gericht hinsichtlich des Spielraums, den der EuGH dem nationalen Gesetzgeber bei der Ausgestaltung einer solchen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausdrücklich eingeräumt hat, nicht Stellung bezieht. Es bleibt also abzuwarten, ob sich weitere Gerichte der Rechtsauffassung des Arbeitsgericht Emden anschließen werden.

Gesetzespläne der Bundesregierung zur Arbeitszeiterfassung

Aufgrund der aufgezeigten Entwicklungen ist es daher nicht weiter erstaunlich: Ein entsprechender Gesetzesentwurf ist seitens des Bundesarbeitsministeriums angekündigt. Die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben solle laut Bundesminister Hubertus Heil (SPD) aber "verhältnismäßig geschehen und übermäßige Bürokratie vermeiden". Zudem solle bei den neuen Regeln zur Arbeitszeiterfassung "nicht alles auf den Kopf gestellt werden". Ein durch das Ministerium in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ist bereits veröffentlicht und unterbreitet Vorschläge zur konkreten Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen.

So könnte eine Verpflichtung zur Dokumentation von Beginn, Ende, Dauer sowie gewährter Ruhepausen in § 16 ArbZG eingefügt werden. Bezüglich der Methoden wäre eine Zeiterfassung per Desktop- oder Smartphone-App denkbar. Dies wäre datenschutzrechtlich in Ordnung, solange es nicht zu einer Dauerüberwachung der Mitarbeiter kommt und die Zugriffsrechte auf diese sensiblen mitarbeiterbezogenen Daten beschränkt sind. Ob tatsächlich, wie beispielsweise in Spanien, jeder Mitarbeiter und damit auch Führungskräfte wie Personal- und Finanzchefs mit Ausnahme der absoluten Top-Managements seine Arbeitszeit dokumentieren muss, bleibt abzuwarten.

Arbeitszeitgesetz: Fluch oder Segen?

Einer der Vorteile des Arbeitszeitgesetzes ist ohne Frage der Schutz der Mitarbeiter vor Mehrarbeit und Ausbeutung. Überstunden fallen so künftig nicht mehr unter den Tisch, sondern werden entsprechend honoriert und bezahlt. Doch zeichnen sich bereits jetzt Schwierigkeiten ab: Welche Tätigkeiten sollen zur Arbeitszeit zählen? Etwa auch die Zeit, in der abends auf der Couch noch E-Mails beantwortet werden? Oder führt die Arbeitszeiterfassung sogar dazu, dass die Arbeitnehmer noch länger im Büro bleiben, obwohl keine Arbeit mehr zu tun ist? Solche und ähnliche Fragen wird die Gesetzesinitiative beantworten müssen, um eine sinnvolle Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit darzustellen.

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